Geschichte des Rebbaus am Bodensee und in Tägerwilen

Funde auf der Halbinsel Höri und in der Nähe von Steckborn beweisen, dass Wildreben am Bodensee schon mehrere Tausend Jahre vor unserer Zeit wuchsen und die Pfahlbauer bereits wussten, wie gut Trauben schmecken. Schon früh begann der Mensch, diese einheimischen Wildreben zu bändigen und sie zu Kulturreben zu entwickeln. Die Römer und Gallier weiteten den Weinbau aus und belebten diesen mit besseren Rebsorten, sowie mit einer ausgereifteren Kelterung.

Die ältesten Quellen über den Weinbau am Bodensee gehen aufs 8. Jahrhundert zurück. Karl Martell soll um das Jahr 724 Reben in Ermatingen angepflanzt haben. In einer Urkunde des Klosters St. Gallen ist um 779 erstmals die Rede von einer "vinea", einem Weingarten in Romanshorn. Vom Inselkloster Reichenau weiss man, dass von 842-849 der Weinbau mit Hilfe von fachkundigen Rebleuten aus Steckborn erweitert wurde. Im Thurgauer Urkundenbuch sind bis 1400 zwanzig Dokumente aufgeführt, in denen Weingärten in Tägerwilen erwähnt werden. Der älteste Eintrag stammt von 1193: Ein Konstanzer Bürger schenkt für das Erlangen seines Seelenheils seinen Weingarten in Tägerwilen an die Kirche St. Stephan. Im 14. Jahrhundert gehörte es für geistliche und weltliche Konstanzer Herren zum guten Ton, ein Weingut in Tägerwilen zu besitzen. So wurden Grundstücke an Tägerwiler Bauern verpachtet und zwar mit der ausdrücklichen Bedingung, darauf Weingärten anzulegen. Die Konstanzer Chronik erwähnt immer wieder gute Weinjahre, beispielsweise der unter dem Namen Wespenwein berüchtigte Jahrgang von 1516, der so stark war, dass er zu Trunkenheit und Schlägereien führte. Der Weinbau war ein wichtiger Erwerbszweig, denn der Wein war auf dem Lande nebst dem sauren Most das einzige Tafelgetränk jener Zeit.  Aus einem Erlass von 1747 der kaiserlichen Räte in Innsbruck geht hervor, was für ein blühender Weinhandel in jenen Tagen bestanden haben muss. Kreuzlingen, Gottlieben und Berlingen wurde vorgeworfen, „eimerweise schlechten Wein in die schwäbischen und österreichischen Orte einzuführen“. Diese Händler durften fortan nur noch an öffentlichen Jahrmärkten ihren Wein anbieten.

Doch die Zeiten änderten sich und der Rückgang der Rebanbauflächen nahm gegen Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Anfang. Zuerst geschah der Abbau unmerklich, beschleunigte sich aber immer stärker, bis bald nur noch wenig Rebland übrigblieb. 1836 wurden erstmals Gemeindereben in Ackerfeld umgewandelt, um die Ackerfläche zu verpachten. Die Reben nahmen 1868 noch 51 Hektaren Fläche ein, 1888 noch 32, 1908 noch 15 und 1912 noch 11 Hektaren. 1928 verfügte nur das Hertlergut über eine Hektare Reben, die in den Kriegsjahren verschwand. Als triftigen Grund kann man die Absatzschwierigkeiten nennen. Die Konkurrenz war gross: Im ganzen Kanton wurde Rebbau intensiv betrieben, die Importe von ausländischen Weinen und der Konsum von Bier nahmen zu. Zudem erstarkte die Produktion von Obstsäften. Der Hauptgrund liegt jedoch in der Wirtschaftlichkeit. Mit dem Aufschwung von Industrie und Handel wurden der Landwirtschaft Arbeitskräfte entzogen. Die Löhne stiegen derart, dass die Betriebe gezwungen waren, auf weniger aufwändige Zweige zu setzen. Wo immer es möglich war, verrichteten nun Maschinen die Arbeit der Menschen.

So konnte man dank rationeller Bewirtschaftung von Acker- und Wiesland in den flachen Regionen bessere, regelmässigere und risikolosere Erträge gewinnen als aus dem arbeitsintensiven, oft unwirtschaftlichen und krankheitsanfälligen Rebbau. In den steilen Hanglagen der Unterseegemeinden wurde weiterhin Rebbau betrieben. Doch im Vergleich zur langen Blütezeit blieben nur wenige, die das Handwerk weiterführten, meistens um die Familientradition zu wahren.


Tägerwilen und die Müller-Thurgau Traube
1850 kam in Tägerwilen der berühmte Schweizer Weinbau-Pionier Hermann Müller zur Welt. Er doktorierte in Deutschland und kreierte durch die Kreuzung von Riesling und Sylvaner die neue Traubensorte Müller-Thurgau. 1881 kehrte Dr. Hermann Müller-Thurgau, wie er sich nun auch amtlich mit Nachnamen nannte, in die Schweiz zurück. Er erwarb sich grosse Verdienste im Kampf gegen die Rebkrankheiten, insbesondere gegen die Reblaus. Zudem schuf er die Grundlagen für gezielte Weinpflege sowie für die Herstellung alkoholfreier Trauben- und Obstsäfte. Er arbeitete als Lehrkraft, Verwaltungsrat, sowie Redaktor und schrieb rund 330 Abhandlungen. Die Universität Bern verlieh ihm an seinem siebzigsten Geburtstag die Würde eines Ehrendoktors. Dr. Müller-Thurgau.

Bildlegenden: Dr. Hermann Müller-Thurgau / Historischer Weinbau.

 

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