Geschichte des Herrensitzes Hertler in Tägerwilen

Die Umgebung rund um Tägerwilen ist aufgrund seiner günstigen klimatischen Lage schon seit Jahrhunderten ein bevorzugter Ort für Landwirtschaft und Obstbau. Schon früh erwarben wohlhabende Bürger Landgüter und bauten diese zu vornehmen Herrensitzen aus. Tägerwilen war umringt von Landsitzen: Hochstrass, Brunnegg, Girsberg, Schloss Castell, Onkenfiner, Planzberg und Hertler. Der Landsitz der Hertler, mit Rebgut und Torkel ausgestattet, hiess ursprünglich Flarengut, benannt nach seinem früheren Besitzer Ludwig Flar. Anfangs des 16. Jahrhunderts kam das Flarengut in den Besitz der Konstanzer Patrizierfamilie Herter, die sich fortan Herter von und zu Hertler nannten. Zum Gut gehörte 1596 ein zweites Haus und ein Bad. Als der letzte männliche Hertler, Junker Hans Kaspar Herterich von Hertler, 1682 verstarb, wurde der Landsitz von seinem Schwiegersohn, Junker Franz Joachim von Eichenlaub, übernommen.

Ab etwa 1730 wird im Tägerwiler Gemeindebuch ein gewisser Ingenieur- Hauptmann Herr von Beer als Eigentümer geführt. Es handelt sich dabei um den bedeutenden Voralberger Barockbaumeister Johann Michael Beer von Bleichten (1700-1767), der in die Familie Herter von Hertler eingeheiratet hatte und dadurch in den Besitz des Landgutes kam. Seine Nachkommen verkauften den Landsitz 1788 an den Konstanzer von Krismar, wobei die Gemeinde einen Prozess gegen die Familie von Beer führte. Diese hatte nämlich die Liegenschaft als Freisitz angeboten, was nicht stimmte. Die Besitzer solcher Landgüter bemühten sich immer wieder um die Anerkennung als Freisitz, wogegen sich die Gemeinden wehrten. Ein Freisitz genoss besondere Rechte wie eine niedere Gerichtsbarkeit oder er wurde vom Satzgeld befreit.

Anfangs des 19. Jahrhunderts kaufte ein aus Gottlieben stammende Wiener Banker das Anwesen. Er studierte am Eidgenössischen Polytechnikum Ingenieurwissenschaft. und arbeitete an der Pyrenäenbahn in Spanien, bei Wasserbauten in Schaffhausen, beim Bau der Bahn Ulm-Sigmaringen und übernahm schliesslich die Leitung zum Bau der Bischofszeller Bahn. Zudem durchlief er im Militärdienst eine steile Karriere und wurde Oberst. 1878 zog er sich früh aus dem Berufsleben zurück, um sich seiner Familie und dem weitläufigen Landgut zu widmen. In öffentlichen Ämtern, mit zahlreichen Aufgaben in der Gemeinde bedacht, blieb er aber weiterhin tätig. Er war Mitglied des Grossen Rates sowie der Kantonalbank-Kommission. Zudem war er als Experte bei Bauvorhaben sehr gefragt. Seine Frau liess das noch heute stehende grosse Gebäude auf der Nordseite, «zur Nutz» genannt, mit Torkel, Weinkeller und Stallungen umbauen. Der Rittermeister verstarb 1854, worauf die Besitzer in kurzer Zeit mehrmals wechselten, bis der wohlhabende und einflussreiche Ermatinger Handelsherr Friedrich Ferdinand Ammann-Merkle die Liegenschaft 1864 übernahm und das Landhaus mit grossem Aufwand umbauen und renovieren liess.

Ein achteckiger Pavillon mit Spitzturm und Weinkeller steht heute noch. Die Ammanschen Erben verkauften den Landsitz 1947 an die Firma Rudolf Gautschi Electro-Fours SA, die es später mit Neubauten erweiterten und einen Fabrikbetrieb einrichteten. Die Familie wohnte im Herrenhaus. Als der Firmeninhaber 1972 starb, fiel das Herrenhaus Spekulanten in die Hände. Mehrere Umbaupläne, unter anderem hätte ein Hotel Garni entstehen sollen, scheiterten und 1986 kam es zum Abbruch des einsturzgefährdeten Gebäudes.

Heute stehen auf dem nördlichen Teil des Geländes der Gemeindewerkhof, das Industriegebäude der Firma Gautschi und das High-Tech-Center.

​​​​​Text: Joe Del Console
Quelle: Tägerwilen. Ein Thurgauer Dorf im Wandel der Zeit. Von Peter Giger, Erich König, Margrit Surber



Die Familie Ammann auf dem Hertler
Hartmann Friedrich Ammann (1781-1838), Sohn Friedrich Ferdinand (1809-1873) und Enkel Theodor (1840-1916) waren sehr einflussreiche Leute. Hartmann Friedrich war ein reicher Ermatinger Handelsherr und durch Heirat mit dem thurgauischen Landadel verbunden. Er war Vizepräsident des Amtgerichts und Kantonsrats. Zudem gilt er als Gründer des Thurgauischen Kantonal-Schützenvereins. Friedrich Ferdinand, Fritz genannt, war ein Jugendfreund Louis Napoleons und später Vertrauensmann des Kaisers sowie der meisten Schlossgrundbesitzer der Gegend. 1837 heiratete er Caroline Merkle. Das Brautpaar erhielt von Königin Hortense kostbare Geschenke, u.a. Goldschmuck und eine silberne Kanne. Er war Ritter des Badischen Zähringer Ordens, Kantonsrat und Schulinspektor. 1868 verlieh ihm die Gemeinde das Bürgerrecht ehrenhalber. Seine jüngere Tochter war eine begabte Malerin, die sich durch Heirat fortan Baronin Mathilde van Zuylen nennen durfte. Theodor studierte am Eidgenössischen Polytechnikum Ingenieurwissenschaft. Er arbeitete an der Pyrenäenbahn in Spanien, bei Wasserbauten in Schaffhausen, beim Bau der Bahn Ulm-Sigmaringen und übernahm schliesslich die Leitung zum Bau der Bischofszeller Bahn. Zudem durchlief er im Militärdienst eine steile Karriere und wurde Oberst. 1878 zog er sich früh aus dem Berufsleben zurück, um sich seiner Familie und dem weitläufigen Landgut zu widmen. In öffentlichen Ämtern, mit zahlreichen Aufgaben in der Gemeinde bedacht, blieb er aber weiterhin tätig. Er war Mitglied des Grossen Rates sowie der Kantonalbankkommission. Zudem war er als Experte bei Bauvorhaben sehr gefragt.

Text: Joe Del Console
Quelle: Tägerwilen. Ein Thurgauer Dorf im Wandel der Zeit. Von Peter Giger, Erich König, Margrit Surber

Bildlegenden
Bild 1: Das Schlossgut Hertler Tägerwilen wurde 1970 abgerissen. Das Ökonomiegebäude ist von der Firma Gautschi erweitert worden und besteht heute noch. Das HTC unterhalb des Weihers wurde in 2 Etappen gebaut. (HTC 1 1990 und HTC 2 1994) Plan von 1874.

Bild 2: Situation von 1999 eingezeichnet auf dem alten Plan von 1874: Da wo früher der Obstgarten des ehemaligen Schlossguts Hertler angelegt war, hat die High-Tech-Center AG 1995 einen biologischen Weinberg angelegt. Die Rebsorte heisst Regent und ist eine Kreuzung zwischen den alten französischen Traubensorten Diana und Chambourain.

Bild 3: Situation 1999 eingezeichnet auf dem alten Plan von 1874: Beim Bau des High-Tech-Centers wurde wesentlich darauf geachtet, dass die noch bestehende Anlage möglichst erhalten bleibt. So ist der kleine Weiher sowie der alte Baumbestand in Harmonie zum Gebäude geblieben.

 

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